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Der „Silicon Forest“ soll zum geflügelten Begriff werden

27.2.2015 |

20150227-dersiliconforestBereits 15 Mitarbeiter, mehrere Praxis-Projekte, Umzug in Neubau: Der Technologie Campus Grafenau entwickelt sich - Erste Ausgründung steht bevor.

Grafenau. Gemüsesorten werden an welchem Wochentag besonders häufig gekauft? Und wie lässt sich etwa die Kundennachfrage nach anderen verderblichen Lebensmitteln wie Milchprodukten oder Fleischwaren verlässlich vorhersagen, um nicht zu viel oder zu wenig Ware vorzuhalten? Bei der Lösung dieser und weiterer Planungsfragen setzen fünf Filialen des Discounters Norma in den Landkreisen Freyung-Grafenau und Passau seit einiger Zeit auf wissenschaftliche Unterstützung:

Im Rahmen eines Projekts zur Verringerung der Lebensmittelverschwendung werten Mitarbeiter des Technologie Campus Grafenau (TCG) die Daten aus den Filialen aus und liefern Grundlagen für die Einkaufslogistik. Neben Verkaufsstatistiken aus der Vergangenheit fließen sogar Wetterprognosen mit in die per selbst entwickelter Software ausgewerteten Daten ein – schließlich kommen etwa bei Schneefall oder Starkregen weniger Kunden.

Team deckt mehrere Fachrichtungen ab
Das Projekt ist nur eines von mehreren, an denen der TCG aktuell in der „Praxis" erfolgreich beteiligt ist. „Wir haben langsam Fuß gefasst", so formuliert es Prof. Dr. Diane Ahrens, die die Außenstelle der Technischen Hochschule Deggendorf (THD) leitet. Deren Präsident Peter Sperber hatte jüngst bei einem Besuch vor Ort sogar erklärt, der auf Datenanalytik, Einkauf und Supply-Chain-Management spezialisierte Forschungsstandort in Grafenau-Neudorf habe sich unter allen acht Campus der THD am schnellsten entwickelt. Die positive Entwicklung schlägt sich auch in Zahlen nieder: 15 Mitarbeiter, davon elf in Vollzeit und zum Großteil promoviert oder sogar habilitiert, forschen bereits in den TCG-Räumlichkeiten in Neudorf. 2014 haben laut Diane Ahrens bereits mehrere Hunderttausend Euro durch staatliche Förderungen oder EU-Mittel sowie Auftragsvolumina aus der Wirtschaft akquiriert werden können.

Als großen Vorteil sieht Ahrens die interdisziplinäre Zusammensetzung ihres Teams, in dem Physiker, Informatiker und Statistiker gemeinsam an Projekten arbeiteten – derart „barrierefreie" Forschung sei etwa an spezialisierten Hochschullehrstühlen nur schwer möglich. Im Forschungsfeld an den Schnittstellen von Management, Technologie und Informatik könne man so praxisnah „Lösungen aus einer Hand" anbieten. „Dazu stimmen die strategische Ausrichtung und die Umsetzung", meint Ahrens.

Gerade der Bereich Datenanalyse – das Schlagwort „Big Data" ist derzeit in aller Munde – treffe den Nerv der Zeit. Hier sieht die Campus-Leiterin noch gehöriges Potenzial, nicht nur für große Konzerne, sondern auch für den Mittelstand in der Region. Die Logistik – zu der weit mehr als nur der Transport von Gütern gehöre – werde in vielen Betrieben als „notwendiges Übel" angesehen, für das man kein Geld ausgeben wolle, schildert Ahrens ihren Eindruck. Entsprechend viel Nachholbedarf sieht sie in diesem Bereich. Denn das Potenzial sei oft unerwartet groß, setze ein Unternehmen auf die Anwendung mathematischer Methoden anstelle von „hemdsärmeligen" Schätzungen. Umfangreiches Datenmaterial stehe in Zeiten fortschreitender Digitalisierung oft ohnehin zur Verfügung, sagt sie: „Auch für die Logistik ist es der nächste Schritt, es nutzen zu lernen". Dadurch seien schlicht genauere Prognosen möglich.

Zum Beispiel im Mode-Bereich greift die Wirtschaft bereits auf die Methoden des TCG zurück, um die vorhandenen eigenen Daten zielgerichtet auswerten und für den Einkauf nutzen zu können. Die „intelligenten" Algorithmen der Software filtern Muster wie selbst erst kurzfristig auftretende Veränderungen im Kundenverhalten aus der Fülle an Daten aus Verkaufszahlen und Preisen – und zeigen etwa, welche Farbtöne bei den Kunden in nächster Zeit hoch im Kurs stehen dürften. Zu den Projektpartnern gehören unter anderem das Waldkirchner Modehaus Garhammer sowie der Damenmode-Versand Madeleine.

Um auch auf dem „freien Markt" ein innovatives Analysewerkzeug anbieten zu können, arbeitet ein Team um Campus-Leiterin Ahrens derzeit zudem daran, ein neues Unternehmen auf die Beine zu stellen. Diese erste TCG-Ausgründung werde eine benutzerfreundliche Software anbieten, mit der auch in kleineren Unternehmen Prognosen etwa für die Einkaufskalkulation möglich sein sollen.

Umzug soll noch 2015 über die Bühne gehen

Einen großen Schritt hin zum Ziel, weiter „nachhaltig zu forschen und zu wachsen", soll der baldige Umzug des TCG an den Grafenauer Stadtberg bilden. 2012 war das ehemalige Schulgebäude in Neudorf bezogen worden – die offizielle Anerkennung des Campus folgte dann 2013, nachdem eine staatliche Anschubfinanzierung in Höhe von vier Millionen Euro für einen Zeitraum von fünf Jahren bewilligt worden war. Bis Ende 2015 soll der vor allem aus städtischen Eigenmitteln finanzierte Neubau nach aktueller Planung bezogen sein.
Für die Zukunft sieht Ahrens viele Ansatzpunkte, die vom neuen Standort aus angegangen werden können: Zu den Schwerpunkten des Campus gehöre etwa auch das Entwickeln von Lösungen, die die Mobilität in strukturschwachen Regionen erhöhen. Generell formuliert sie es als den Anspruch des TCG, zu zeigen, dass der ländliche Raum Vorreiter in Sachen Technologie sein kann. „Wir wollen die Region raustragen in die Welt", sagt sie. Und so soll der Bayerische Wald als „Silicon Forest" – in Anlehnung an das berühmte Silicon Valley – schon bald zum geflügelten Begriff werden.

21.02.2015 | PNP