6.8.2015 |
Gelungene Strukturpolitik in der Provinz: Die Hightech-Außenstelle der Hochschule Deggendorf brachte 200 neue Arbeitsplätze in das Örtchen Teisnach im Bayerischen Wald. Die neuen Einwohner freuen sich über genügend Kita-Plätze und billige Grundstücke.
Rita Röhrl muss fast schreien, damit man sie versteht. "Hören Sie das?", ruft sie ins Telefon. "Einen Höllenverkehr haben wir hier." Die Bürgermeisterin des Marktes Teisnach sagt das nicht ohne Stolz. Dass ihre niederbayerische 2800-Seelen-Gemeinde heute ein Verkehrsknotenpunkt ist, ein Industriestandort mit internationalem Ruf, das ist Röhrls Verdienst. Sie war es, die vor sechs Jahren tief in die Gemeindekasse griff und das erste Technologiezentrum der Technischen Hochschule Deggendorf (THD) in ihre Marktgemeinde holte.
Seitdem fahren die vielen Autos nicht nur durch Teisnach hindurch, sie pendeln hinein - 200 neue Arbeitsplätze hat das Technologiezentrum dem Örtchen am Schwarzen Regen beschert. Um den Campus herum haben sich viele neue Unternehmen angesiedelt. Es ist eine beispielhafte Symbiose zwischen Fachhochschule und Gemeinde, wie sie in dieser Form nur in Bayern zu finden ist.
Die Keimzelle der prosperierenden Provinz liegt 25 Kilometer südlich in Deggendorf. 5700 Studenten werkeln hier in Laboren, machen Experimente und betreiben Auftragsforschungen für Unternehmen. Hier lernen sie die Grundlagen, um später an einem Technologiezentrum wie in Teisnach oder in einem Unternehmen mit Hochpräzisionsmaschinen arbeiten zu können. Es ist die Spezialität der Fachhochschulen, ihren Studenten nicht nur das thematische Warum beizubringen, sondern auch das praktische Wie: Wie funktioniert eine Technologie? Wie kann man sie in der Industrie einsetzen?
"Unsere Ausbildung ist deutlich praxisrelevanter als die an der Universität", sagt THD-Präsident Peter Sperber. Entsprechend eng sei die Beziehung zu Unternehmen. "Unsere Absolventen schreiben ihre Abschlussarbeiten fast ausschließlich über lokale Firmen", sagt Sperber. Durch den Bayerischen Wald und bis hinein nach Mittelfranken hat die Hochschule acht Technologiezentren wie das in Teisnach aufgebaut. Fünf Millionen Euro gibt der Staat pro Standort dazu, denn das Modell, Bildung und Wirtschaftskraft in der Region zu streuen, zahlt sich aus.
Für Unternehmen sind Fachhochschulabsolventen begehrte Arbeitskräfte - erst während des Studiums als Werkstudenten, später als feste Mitarbeiter. Daraus ergibt sich die symbiotische Stärke der Fachhochschule: Siedeln sich Unternehmen dort an, wo ihre künftigen Arbeitskräfte marktreif gemacht werden, sitzen sie an der Quelle, sobald die Fachleute ihren Abschluss in der Tasche haben, und werben sie ab, bevor die Studenten sich in Richtung der Metropolregionen orientieren.
Davon profitiert auch die Region, weil junge Arbeitskräfte ihr erhalten bleiben und mit neuen Unternehmen sogar zusätzliche Akademiker zuwandern. Diese erwartet in den kleinen aber durch Industrie und Gewerbesteuern wirtschaftlich starken Gemeinden vieles, wovon sie in Großstädten nur träumen könnten. Einen "goldenen Betreuungsschlüssel" gebe es etwa bei der Kinderbetreuung in Teisnach, sagt Rita Röhrl. "Wir haben Kitaplätze für alle, die einen wollen." Sogar aus den Nachbargemeinden würden Kinder aufgenommen, weil Teisnach mehr Betreuungsplätze hat als Kinder im Ort wohnen. Der Einstiegstarif für die Betreuung liege bei gerade mal 45 Euro monatlich, mit freier Mittagsverpflegung. Und wer in Teisnach sein Eigenheim errichten möchte, bekommt das Bauland mit 68 Euro pro Quadratmeter fast hinterhergeschmissen.
Eine "Investition für die Zukunft" sei ihr Griff in den Geldtopf damals gewesen, sagt Bürgermeisterin Röhrl. Ihr Entschluss, das Technologiezentrum als 100-prozentige Tochter der Gemeinde zu finanzieren, war eine Hauruck-Aktion. Eigentlich hätte der Campus in Regen angesiedelt werden sollen. "Da ging aber ewig nichts voran", erinnert sich Röhrl. "Wir waren uns nach 14 Tagen einig, und da sind wir nun." Das war vor sechs Jahren. "Noch keine Sekunde habe ich es bereut."
Auch Deggendorf selbst profitiert von seiner Fachhochschule. "Die Hochschule hat großen Anteil daran, dass unsere Stadt zum Herzen der Boomregion Deggendorf geworden ist", sagt Oberbürgermeister Christian Moser. "Sie schafft Arbeitsplätze, die unsere Region so dringend braucht." Die Arbeitslosigkeit in Deggendorf ist auf drei Prozent gesunken. Mittlerweile ist Moser in der komfortablen Situation, dass mehr Unternehmen sich in Deggendorf ansiedeln wollen als es Platz gibt.
Auch in Mosers Rathaus arbeiten Absolventen der THD. Einer von ihnen ist Andreas Höhn. Für ihn als Wirtschaftsförderer gehört das Schwärmen über die Deggendorfer Industrie zum Job. Dass er nach dem Abschluss in Niederbayern bleiben und seiner Heimatstadt München dauerhaft den Rücken kehren würde, wusste er aber schon, bevor er den Posten antrat. "Ich habe mich an der Hochschule nicht gefühlt wie einer von Tausenden. Das war eine enge Verbindung", sagt Höhn. "Der Professor kennt jeden mit Namen. Es ist einfach ein großer Blumenstrauß an Vorteilen, in einem kleinen Ort zu studieren."
Nach dem Abschluss habe er Deggendorf "etwas zurückgeben" wollen, sagt Andreas Höhn. Das tut er, indem er die Boomregion noch stärker zum Boomen bringt. "Wenn auf Produkten Made in Deggendorf stehen würde, wären Sie überrascht, was alles von hier kommt", sagt er. Sein Traum ist ein "bayerisches Silicon Valley": "Wo gute Firmen sind, wollen auch andere Firmen hin", glaubt Höhn. "Diesen Kaugummi-Effekt verdanken wir nicht zuletzt der Hochschule. Sie ist unser Impuls-Motor Nummer eins."
Die enge Verbindung, von der Höhn spricht, besteht hier auch zwischen Hochschule und Stadt. Als im Jahr 2013 der Isardamm brach und Teile von Deggendorf überflutet wurden, waren die Studenten der THD als erste mit Besen und Schaufeln vor Ort. Sie schleppten Sandsäcke, halfen bei der Evakuierung. Aus den Räumen der Hochschule koordinierten sie die ehrenamtlichen Helfer. Oberbürgermeister Moser hat noch immer Gänsehaut, wenn er daran denkt. "Diese Bilder vergisst man nicht. Unsere Studenten haben damals gemeinsam mit den anderen Helfern wirklich Unglaubliches für die Stadt geleistet."
Er und THD-Präsident Peter Sperber sind per Du. Bei der gemeinsamen Pressekonferenz zum geplanten Open-Air-Festival der Hochschule flüstern und kichern die beiden auf dem Podium. Dass er, Moser, der erste ist, der bei der Veranstaltungsankündigung auf Facebook auf "Gefällt mir" geklickt hat, freut ihn diebisch. Und natürlich stellt er für die Aftershow-Party die Stadthallen zur Verfügung. Auch bei der Anmietung neuer Lehrräume gehen Stadt und Hochschule Hand in Hand.
Die THD lockt mit ihrem modernen Campus und den guten Berufsaussichten für Absolventen immer mehr Studenten nach Niederbayern, Platzmangel ist trotz regelmäßiger Anbauten seit ihrer Gründung im Jahr 1994 ein Dauerproblem der Hochschule. "Es ist schon schwer, unserem Wachstum noch gerecht zu werden", sagt Präsident Sperber. "Mit viel Fantasie bleibt es machbar, aber so schnell kommen wir weder mit Räumen noch mit Personal nach." Die Stadt sei bei der Anmietung von Gebäuden eine "Riesenhilfe".
Insgesamt 19 Hochschulen für angewandte Wissenschaften gibt es in Bayern. Das macht es Jugendlichen leicht, zum Studieren in ihrer Heimat zu bleiben. Zumindest diese Regionen werden vor dem demografischen Ausbluten bewahrt - und locken sogar neue Fachkräfte aus aller Welt an. Allein in Deggendorf studieren junge Menschen aus 70 Nationen.
SZ vom 21.03.2016