Endlich, der letzte Tag in Quarantäne! Eigentlich sollte ich mich freuen, aber als ich aufwache bin ich total fertig und fühle mich, als hätte mich in der Nacht ein Lastwagen überfahren. Beim Blick aus dem Fenster ist mir auch klar warum. Es regnet. Ein heftiger Wetterumschwung über Nacht also. Das zieht mich immer runter. Aber heute ist es nochmal schlimmer als sonst. Und das jetzt, auf der Zielgeraden. Meinen letzten Stunden in Quarantäne.
Als ich kurze Zeit später zum täglichen Teams-Meeting erscheine, sieht man mir anscheinend schon an, dass ich fertig bin. Ob ich gerade eben aus dem Bett gefallen bin werde ich gefragt. Als ich offen zugebe, dass dem so ist und dass ich total zerstört bin, sind meine Kolleg:innen verwirrt. Anscheinend war die Frage als Witz gedacht um mich ein bisschen aufzuziehen. Aber ich bin wohl so fertig, dass ich nicht mal mehr das erkannt habe. Naja, kann vorkommen. Wir widmen uns den anstehenden Aufgaben für heute und verabschieden uns kurz darauf.
Da ich immer noch total kaputt bin, mache ich mir erst mal einen extra großen und extra starken Espresso. Damit sitze ich kurz darauf wieder vor meinem Laptop und versuche weiterzuarbeiten. Es geht zwar voran, aber gefühlt im Schneckentempo. Ich hangle mich von Punkt zu Punkt auf meiner To-Do-List und gelange so nur ganz langsam zur Mittagspause.
Ich versuche meine Lebensgeister zurückzuholen indem ich mir in meiner Mittagspause eine große Ladung Comedy Central mit „The Goldbergs“ genehmige. Lachen macht mich normal immer schnell wieder munter. Aber leider hilft auch das nicht und ich bin nach der halben Stunde Pause vor meinem Fernseher noch frustrierter als vorher. Ausgerechnet heute, wo ich mich eigentlich freuen sollte, dass ich zu Mitternacht wieder auf freiem Fuß bin.
Abgefüttert und mit dem Vorsatz den Nachmittag mit mehr Power anzugehen, sitze ich nach meiner Mittagspause wieder vor dem Laptop. Ich arbeite an einem Text den ich unbedingt heute noch fertigbekommen will. Gerade hänge ich aber etwas und egal was ich versuche, es gelingt mir nicht den Beitrag weiterzuschreiben. Also rufe ich über Teams eine Kollegin an wegen einer Sache, die eigentlich nicht so dringen wäre. Aber vielleicht hilft es ja den Text etwas ruhen zu lassen und mich einer anderen Aufgabe zu widmen.
Kaum dass ich mit meiner Kollegin telefoniere klingelt es an der Tür. Da ich niemanden erwarte und ja auch keinen Besuch empfangen darf, ignoriere ich das Klingeln. Kurz darauf klingelt es nochmal. Also verspreche ich meiner Kollegin mich gleich nochmal zu melden und lege auf. Beim Blick aus dem Fenster sehe ich meine Vermieterin vor der Tür stehen. Da ich ja noch für knappe neun Stunden in Quarantäne bin, kippe ich wieder das Fenster. Der Kaminkehrer ist da und müsste aufs Dach. Nur steht mein Auto dummerweise genau dort, wo er mit der Leiter hin muss. Also nehme ich meine Autoschlüssel sobald die Einfahrt frei von Menschen ist und parke mein Auto um. Kaum dass ich wieder drin bin sehe ich den Kaminkehrer vom Nachbargrundstück, wo er in der Zwischenzeit gewartet hat, wieder zu mir herübergehen.
Gerade als ich mich wieder vor den Laptop platziere, klingelt das Telefon. Eine Kollegin, die dringend Hilfe bei einem Text braucht ist am Hörer. Ich versichere ihr, dass ich mich dem Text gerne annehme und sage ihr, dass sie mir den Entwurf und die Stichpunkte einfach per Mail schicken soll. So geht es am einfachsten und schnellsten. Vom Schneckentempo ist am Nachmittag plötzlich gar nichts mehr geblieben. Als ich dann endlich wieder am Laptop sitze und meine Kollegin über Teams anrufe, ist der Nachmittag schon weit fortgeschritten und ich habe meinen üblichen Nachmittags-Espresso vor mir stehen. Meine Kollegin lacht, als sie mich mit dem kleinen Tässchen sitzen sieht. Sie kennt mich gut und weiß, dass ich nachmittags ohne meinen Koffeinkick nicht zu gebrauchen bin. Heute trifft das leider noch mehr zu als sonst schon. Wir widmen uns meiner Frage zu iLearn und wie ich darin meine Sachen am besten platziere. Sie gibt mir ein paar wertvolle Tipps, mit denen ich gut weiterarbeiten kann. Anschließend erkundigt sie sich noch wie es mir geht und wie ich die Quarantäne bisher durchgestanden habe. Die letzten Stunden ziehen sich gewaltig und ich habe wegen dem Wetterumschwung heute keine Energie sage ich ihr. Sie lacht und meint „Auf der Zielgeraden gibst du also auf?“. Ihr Kommentar bringt mich zum Lachen. Ja, so ist es tatsächlich. Auch wenn ich das bisher noch nicht so klar und deutlich gesehen habe. Nach einer Woche alleine, nur auf mich fokussiert und an meiner guten Laune und positiver Einstellung arbeitend hat es mich jetzt auf den letzten Metern erwischt. Die Quarantäne hat mich dann wohl doch mehr mitgenommen als ich es mir bisher habe eingestehen wollen. Das ärgert mich. Meine Kollegin beschwichtigt und meint, dass das total normal ist. Wenn das Ziel schon sichtbar ist hat man oft einen Durchhänger. Als erprobte Läuferin muss sie es wissen. Sie motiviert mich noch durchzuhalten und mir nicht den Kopf zu zerbrechen. Es sei absolut normal mal einen Durchhänger zu haben und nach so einer langen Zeit der Isolation erst recht, meint sie. Da hat sie Recht! Ich nehme mir vor den Rest des Tages etwas entspannter zu sehen und es einfach hinzunehmen, dass es halt mal eine Durststrecke gibt und sei die auch noch so kurz vorm Ziel.
Mit dieser Einstellung geht es nach dem Gespräch mit meiner Kollegin tatsächlich entspannter, besser und schneller vorwärts als bisher. Manchmal muss man die Dinge wohl einfach loslassen, damit sie in den Fluss kommen. So schaffe ich es bis zum Feierabend meinen Text doch noch fertig zu stellen und kann mich mit einem guten Gewissen und einer positiveren Einstellung an den Feierabend machen.
Mittlerweile sind es nur noch vier Stunden bis ich offiziell aus der Quarantäne entlassen werde. Eigentlich macht es ja keinen großen Unterschied, da wir im Lockdown sind. Um mich von den trüben Aussichten abzulenken, beschließe ich doch noch eine Staffel „Interior Design Masters“ anzuschauen. So sollte die Zeit bis zur lang ersehnten Freiheit schnell vergehen.
Mit einer großen Schüssel Salat, einem Sandwich und einer Tasse Tee sitze ich also kurze Zeit später auf der Couch und widme mich ganz meinem Fernseher. Die Teilnehmer des Innendesign-Wettbewerbs müssen die schwierigsten Aufgaben in kürzester Zeit meistern. Eine Wohnung im Studentenwohnheim in nur zwei Tagen komplett umzugestalten beispielsweise. Was man mit ein bisschen Kreativität und Farbe alles aus so einem kleinen Raum machen kann! Bis ich weiß wer sich bis zum Schluss durchsetzt und den Auftrag für die Neugestaltung der Bar und Lounge des Londoner „Dorsett“ Hotels bekommt, vergeht die Zeit wie im Flug. Als Cassie sich im Finale dann endlich gegen Frank, der mir wegen seiner etwas arroganten Art von Anfang an unsympathisch war, durchsetzt, bin ich total beflügelt. Mittlerweile ist es halb zwölf, eine halbe Stunde bis zur Freiheit also, und ich bin total überdreht. Die vielen kreativen Ideen und deren Umsetzung in der Show haben wohl ihre Wirkung gezeigt.
Sobald ich den Fernseher ausgemacht habe finde ich mich mit kritischem Blick in meiner Küche wieder und überlege, wie ich noch mehr aus dem Raum herausholen kann. Übermotiviert fange ich an nach Farbpaletten und Fliesenfolien zu googeln. Ich werde auch gleich fündig. Moosgrün für die Wand, weiß für die braune Holzdecke, glänzendes Weiß für die Fliesen und Grau für die Fugen. Vor meinem geistigen Auge entsteht das Bild einer komplett veränderten Küche und ich bin so beflügelt, dass ich die Fliesenfolie gleich bestelle und das Konzept meiner besten Freundin über Whatsapp pitche. Sie findet die Idee super und bietet mir direkt ihre Hilfe bei der Umgestaltung meiner Küche an.
Mit dem Blick auf die Uhr stelle ich fest, dass ich seit 17 Minuten aus der Quarantäne entlassen bin und jetzt zumindest einkaufen kann und draußen Sport machen darf. Da habe ich wohl auf der Zielgeraden noch so einen Sprint hingelegt, dass ich übers Ziel hinausgeschossen bin. Momentan interessiert mich allerdings nur, wo ich Farbe herbekomme und wann ich mich über meine Küche hermachen kann. Das Make Over hat sie mehr als nötig und ich brauche anscheinend die kreative Betätigung dringend nach so langem Herumsitzen zuhause. Ich lasse mir die Einzelheiten meiner Idee nochmal durch den Kopf gehen und mache mich, zufrieden mit meiner Vorstellung für die Küche, auf ins Bad. Ich bin zwar total überdreht und nicht bereit fürs Bett, aber mit Blick auf die Uhr wäre es besser mich langsam schlafenzulegen. Morgen will ich nicht mehr ganz so fertig aussehen, wenn wir uns zum täglichen Teams-Meeting treffen und ich will meine neu erlangte Freiheit feiern indem ich an meinem Feierabend Farbe kaufen gehe.
Miriam
Miriam Bleck lässt ihrer Liebe zum Schreiben in der Pressestelle der THD freien Lauf. Meistens ist sie am European Campus in Pfarrkirchen oder bei ihrem Lieblingsitaliener anzutreffen. Wenn sie nicht gerade mit Kochen oder Essen beschäftigt ist, schreibt sie über aktuelle Themen, Persönliches und alles was ihr sonst so durch den Kopf geht.